... war mein Vorschlag für das „Denkmal der
ermordeten Juden Europas" (1994) in Berlin wie folgt begründet (Auszug
aus dem Wettbewerbsentwurf): „In einer pluralen Gesellschaft kann
kein einzelnes Bild eines Einzelnen
identitätstiftende, kollektiv bindende Symbolkraft entfalten. Der
Komplexität und beispiellosen geschichtlichen Bedeutung der Verbrechen
kann kein einziges Bild gültige Gestalt geben. Kein einziges Bild kann
den reflektierten emotionalen Erwartungen an ein Denkmal für die
ermordeten Juden Europas gerecht werden und dem Gedenken in Trauer,
Scham, Schuld und Hoffnung gültigen Ausdruck verleihen. Das heißt (für
den Entwurf): viele anonyme und namentlich genannte Personen geben mit
ihrem Gedenken und Handeln der emotionalen und intellektuellen Erfahrung
gemeinsam eine Gestalt.
Entsprechend gilt der Vorschlag keinem statischen
Monument. Das Erinnern und die Kunst, die Erinnern formuliert, wird als
Handlungsform realisiert: öffentliches, individuelles, aber
gemeinsames Gedenken durch Handeln. Dazu bietet der Vorschlag einen
Rahmen, ein Gefäß, einen vorverdichteten Raum, der die sinnliche
Voraussetzung schafft, um reflektierte Erfahrung und eine gültige
Ausdrucksgestalt kollektiven Gedenkens und Handelns zu ermöglichen.
Es entsteht eine Stätte, die das Andenken und das
Angedachte gleichermaßen vor Augen führt, in Aktivität umsetzt und
Aktualität und Lebendigkeit des Andenkens dokumentiert und wachhält.
Durch die konzeptuelle Offenheit bleibt Angemessenheit an zukünftig sich
ändernde Formen des Erinnerns möglich."
Realisiert sollte dieses Konzept werden unter anderem
durch „Zusammenführung privater Erinnerungsstücke. ... Zur
Erinnerung an eine bestimmte Person oder an ein bestimmtes Ereignis kann
jeder x-beliebige Gegenstand in den Rang eines Erinnerungsstücks erhoben
werden und die Funktion eines privaten ‚Denkmals‘ übernehmen. Solche
Erinnerungsstücke (meist: Fotos, Geschenke oder Briefe) können
gewöhnlichste Alltagsgegenstände sein: Kinokarten, ein Füllfederhalter
oder eine getrocknete Blume. Vergangenes überdauert im Leben wie im
Gedächtnis vermittelt durch Gegenstände.
Es gibt einen Schatz solch privater, sehr
persönlicher Denkmale aus der NS-Zeit, die Einzelne zum Gedenken an
Verwandte, Freunde und Bekannte, an Opfer oder Täter, an Erlebtes und
Erfahrenes bewahrt haben: Diese Dinge geben Zeugnis von gemeinsam
geteilten Erfahrungen, der Lebenswelt der ermordeten Juden, dem
Verbrechen, das an ihnen verübt wurde und (indem sie bewahrt
wurden) vom Gedenken der Überlebenden.
Die Zusammenführung privater Erinnerungsstücke macht
die Dinge in ihrer Funktion sichtbar. Sie verdichtet sie in ihrer
Aussage zu einem (jeweils) zeitgemäßen, eindringlichen Denkmal an die
ermordeten Juden Europas. Es vergegenwärtigt zugleich lebendiges,
persönlich verantwortetes Gedenken; gestiftet durch all jene, die es für
sich, ohne öffentlichkeit, in eigener Betroffenheit leben und gelebt
haben, zusammengetragen und erweitert durch alle Beteiligten. Durch die
Zusammenführung wird der einzelne Gegenstand korrigiert, ergänzt und
präzisiert.
Die Dinge markieren eine Leerstelle, eine Abwesenheit
– aber zugleich Präsenz in der Zeit des Gedenkens. Durch den Austausch
der Gegenstände und ihre wechselnden Konstellationen werden immer wieder
andere Formen des Gedenkens möglich und deutlich. Es bleibt offen für
zukünftige Neubestimmungen.
Durch die Zusammenführung privater Erinnerungsstücke wird subjektive
Erinnerung, verobjektiviert im Gegenstand, zum Bau-Stein eines
kollektiven Gedächtnisses. Ein gewagtes, risikobehaftetes Unternehmen,
da es ganz vom tatsächlichen Gedenken in der Gesellschaft lebt." (Der
Entwurf wurde abgelehnt.)
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