Eine Mini-Schokolade zum Kaffee, ein Bonbon beim
Erhalt der Rechnung. Idee und Praxis solch unbestellter Dreingaben ist nicht
neu. 1813 wurde eine Knabberpackung mit Popcorn und Nüssen (Cracker Jack)
verkauft, die zusätzlich kleine Spielzeuge enthielt. Bekannt waren die
Sammelbilder von Sanella, geliebt die Kaugummiautomaten der sechziger Jahre, die
dem Käufer-Spieler auch jede Menge Schnickschnack boten. Die Dreingabe ist ein
Surplus, dessen beabsichtigte kaufmännische Absicht leicht verständlich und
durchschaubar ist. Der unbestellte Keks zum Tee eine Geste des Dankes und der
Gastfreundschaft. In manchen Baumärkten enthält jeder 20igste Sack Zement eine
„Überraschungsbeilage“ - ein Hoffnung weckendes Versprechen auf chancenreiches
Glück. Eine Zusatzzahl. Eine aktuelle Kinowerbung nennt das Bonusmaterial. An
der Tankstelle gibt es nicht nur Benzin, bei Tschibo mehr als Kaffe.
Allenthalben mehr als zu erwarten war. Beim Überraschungs-Ei, seit den 70iger Jahren Ferreros Hit
Nummer Eins, war zunächst die Verpackung das zu verkaufende Produkt. Erst
Käuferverhalten hat das Ei zum Kombiprodukt gemacht und die Verhältnisse
umgekehrt: gekauft wird ein Sammelobjekt, Spaß, Spannung, Unterhaltung. Die
Schokolade ist jetzt Sekundärgewinn - materialisiert in süßer Speise. Der Praxis
unbestellter Dreingaben liegt ein Kindchenschema zu Grunde: Betthupferl und
Belohnung für gezeigtes Wohlverhalten. Im Informationszentrum der Baden Nova in
Freiburg erwarten den Besucher große transparente Wundertüten, Füllhorn und
Schultüte in einem: mit Süßigkeiten, randvoll. Der Besuch im Büro wird zum
ersten Schulungstag und Beginn erhoffter „Kundenbildung“. Die Mini-Schokolade ist kein Werbegeschenk, wie manche Kugelschreiber oder
Streichholzheftchen. Kein Rabatt, kein Preisnachlass. Auch keine Geste, die
verpflichtet, wie Gastfreundschaft verpflichtet. Sie ist kein Geschenk,
natürlich nicht, wir bezahlen sie mit - ob wir wollen oder nicht. Eine Nötigung
liegt darin, die die sozial verpflichtende Geste des Schenkens nutzt, um diese
zu zerstören. Eine Büchse der Pandora. Am Ende schmeckt es bitter. Richard Schindler
Badische Zeitung vom Freitag, 2.
September 2003
Der Keks zum Tee
AUGENSACHE (6):
Dreingaben, die keine Geschenke sind