An den Türen steht öffentlich - meistens - "Herren"
oder "Damen". Manchmal kleben da lächerliche
Bildzeichen eines kleinen Jungen hier, eines Mädchens
dort. Aber weder ist der gemeinte stille Ort
buchstäblich Mädchen oder Jungen vorbehalten noch im
Wortsinn vornehmen Herren oder Damen. Vielleicht
deshalb steht manchmal auch geschrieben - nüchtern -
"Er" und "Sie", während an diesen Türen anderen Orts
ein Filmplakat von James Dean, Humphrey Bogart oder
Marilyn Monroe prangt. Was macht diese Ikonen von
Männlichkeit und Weiblichkeit, was macht Piktogramme
der Scheidung der Geschlechter zu einer geeigneten
Visualisierung für den Eingang zu jenem kleinen Raum,
der im Privaten noch mit einem Herzen gekennzeichnet
sein mag? Richard Schindler
Badische Zeitung vom
Dienstag, 9. September 2003
Es fehlt das Wort für den stillen Ort
AUGENSACHE (7):
Scheiden
Der Ort, an dem kleine und große Geschäfte bloß
verrichtet, nicht getätigt werden, hat keinen rechten
Namen. Toilette, Klosett, Bathroom, wie es im
Amerikanischen puritanisch distanziert heißt, sind
verlegene assoziative Umschreibungen. Wo Wasser zur
Spülung üblich ist, macht der ausdrückliche Verweis
gerade darauf keinen Sinn. Und die Zeichen für
öffentliche oder halböffentliche Einrichtungen dieser
Art funktionieren zwar, aber ein überzeugendes oder
gar universal gültiges Bild gibt es nicht. Notdürftige
Lösungen also für den Ort der Notdurft?
Eine der gewaltigsten, weil folgenreichsten Neuerungen
der Kunstgeschichte war das Pissoir von Marcel
Duchamp, einer der Höhepunkte der documenta IX, die
Toilette von Ilja Kabakow. Das wird kein Zufall sein.
Ort und Umstände natürlichster Hervorbringung können
nicht wirklich gleichgültig sein. So scheinen die
kleinlauten Bilder und Namen dieses Örtchens ein
Hinweis auf ein ungelöstes Problem: auf eine Lücke im
Selbstverständnis unserer Kultur. Sie verweist auf die
Scheiße, die unser Leben eben auch bestimmt. Hinweis
auf ein Material, aus dem Gold zu machen eine
Recyclingindustrie nicht müde wird, und einen Ort, an
dem gepresster Laut statt Sprache spricht und
ungestalte, animalische Form triumphiert.