Nicht nur für Künstler scheint die Glatze eine einfache
Möglichkeit einem modischen Trend gehorsam Folge zu leisten. Und, in eins damit,
sich eventuell lichtender Stellen konsequent zu entledigen. Aber kahlköpfig
gerät kein Lächeln. Soll es auch nicht. Der geschorene Kopf ist der männlich zu
nennende Ausdruck beschädigten Lebens: nur den Männern gehen im Alter die Haare
gänzlich aus - für gewöhnlich, oft und natürlich. Richard Schindler
Badische Zeitung vom Freitag, 26. September 2003
Gezüchtete Seele
AUGENSACHE (8):
Haarig
Nicht wenige leiden darunter, wenn es früh schon geschieht. Wie jene litten,
denen, sie zu demütigen, das Kopfhaar mutwillig von anderen rasiert war. Nicht
von ungefähr erinnert das Bild an Gefangene. Und vielleicht nicht aufs Haar,
weil immer etwas bleibt, aber doch hinreichend, gleichen die selbst verordneten
Glatzen denen von Patienten, den Opfern medizinischer Extrembehandlung. Da
verrät sich die Gewalt im Spiel, das keines ist.
Wie manchmal religiöse Novizen sind oder soldatische Kämpfer, haarlos unter der
Fuchtel strengster Regeln, eben so scheinen die breit Gescheitelten aus freien
Stücken unter dem Zeichen von Ordnung und Zucht zu stehen. Offenbar, wie wenig
anderes sonst, ist das haarlose Haupt, und gänzlich ohne sichtbar blutende
Wunde, Ausdrucksgestalt einer gezüchteten Seele. Auch wenn die Träger selbst es
nicht glauben mögen.
Ohne sichtbare Not zur Schau getragen, altklug und wie militärische Tarnkleidung
von Punks zur Mode umgedeutet, bleibt der blanke Schädel verbunden mit Schmerz -
und noch jedes Lächeln darunter wandelt sich manch einem in ein triumphal
trotziges Grinsen. Der Stärkere, unter dessen Kuratel man steht, ist man
schließlich selber.
Daher vielleicht wirken der Eigenraub der Haare und die oft eigenhändig berührte
Glanzhaut für manchen obszön, wie gewichste Stiefel. Eine scheinbar absichtlose
Demonstration auftrumpfender Selbstbeschneidung vor sich selbst und dem Auge der
anderen. Im höchstgestirnten Verzicht auf restlich sinnliche Pracht entsteht ein
Bild mönchischer Selbstzucht. Zugleich ein sektiererisches Eingeständnis einer
Niederlage: an Natur oder Kultur - durch extrem gesteigerte Übernahme des
Unvermeidlichen: Einmal sind doch alle Haare dahin - und wenn schon, denn schon.
Was sein muss, soll sein.