Badische Zeitung vom Mittwoch, 22. Januar 2003

Gegenbilder zur Zerstörung
BZ-INTERVIEW mit Eva Manske und Richard Schindler über die Vortragsreihe "Bild.Terror"

Im vergangenen Jahr startete das Freiburger Carl-Schurz-Haus unter dem Titel "Bild.Terror" eine Vortragsreihe, die sich den Bildern der Terroranschläge vom 11. September 2001 widmet. BZ-Mitarbeiter Jürgen Reuß sprach mit den Organisatoren, der Direktorin des Carl- Schurz-Hauses Eva Manske und dem Freiburger Künstler Richard Schindler.

BZ: Frau Manske, Herr Schindler, lässt sich zur Halbzeit Ihrer Vortragsreihe eine Zwischenbilanz ziehen?

Richard Schindler: Bündige Formeln waren nicht zu erwarten. Wir möchten ein breites Spektrum des Umgangs mit den Bildern des Terrors aufzeigen . . .

Eva Manske: . . . und aus der Sicht von Künstlern und Wissenschaftlern Interpretationsspielräume öffnen, die über den Schock hinausweisen und die Sprachlosigkeit der ersten Reaktionen überwinden.

BZ: In den ersten Reaktionen auf den 11. 9. wurde auf bekannte Bilder zurückgegriffen, z. B. aus dem Kino.

Schindler: Warum nicht bei Bekanntem andocken, um sich dem Ungeheuerlichen zu nähern.

Manske: Gut ein Jahr nach den Anschlägen möchten wir verstärkt Deutungshilfen anbieten, die auch Geschichte, Kultur, Heilsgeschichte einbeziehen.

BZ: Verändert der 11. September die Kunst?

Schindler: Die Kunst wird sich nicht verändern, aus dem einfachen Grund, weil sie den Schrecken immer schon thematisiert.

Manske: Vielleicht führt dieser Schrecken dazu, dass die Menschen genauer hinsehen. Man kann aber nicht sagen, dass durch diese Ereignisse Kunst besser wahrgenommen wird. Es ist nur der Appell, sich nicht von der Macht der Bilder vereinnahmen zu lassen. Deshalb das Bemühen unserer Reihe, Interpretationsangebote zu machen, die Wahrnehmung und Verständnis schärfen.

BZ: Muss man einen Terroranschlag als Kunstwerk betrachten, weil einem sonst wichtige Aspekte entgehen?

Schindler: Nicht als ein Kunstwerk, sondern wie ein Kunstwerk. Das heißt mit derselben Aufmerksamkeit.

Manske: Wobei es besonders wichtig ist, dass man Hintergrundwissen beisteuert. Wenn man Terroranschläge auf die rein ästhetische Ebene bringt, ist das gefährlich.

Schindler: Mir fällt dabei Rilke ein: "Das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen, und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht, uns zu zerstören." Das ist der Punkt, den man nicht übersehen darf. Das Schöne ist der Anfang des Schrecklichen und zerstört uns nicht. Kunst gestattet, sich Ungeheuerlichem zu nähern, ohne Angst haben zu müssen, zerstört zu werden.

BZ: Häufig wurden die von Laien gemachten Bilder vom 11. September als eindringlicher empfunden als die der Profis von Magnum, die sich damals zufällig zu einer Tagung in New York befanden.

Schindler: Einspruch. Jeder Hobbyfotograf fotografiert genauso wie der Experte. Die Magnum-Ästhetik ist eine, die wir alle gelernt haben. Das ist wie bei anderen wissenschaftlichen Arbeiten auch. Da wird ein Weltbild erarbeitet von Experten, Kopernikus etwa, und heute lernt das jeder in der achten Klasse. Nur ist das professionelle Foto vielleicht avancierter und erlaubt einen präziseren Zugriff.

BZ: Erfordern Schreckensbilder Gegenbilder?

Schindler: Ja. Ansätze dazu waren beispielsweise die Installationen mit Blumen und Kerzen auf den Straßen.

BZ: Das Gegenbild zur Zerstörung des Wahrzeichens von Manhattan ist nicht zwangsläufig auch ein Bild der Zerstörung, wie es der Krieg gegen den Terror nahe legt?

Schindler: Nein. Das Gegenbild ist ein Bild der Trauer.

Manske: Über ein anderes Gegenbild wird Ulrike Sprenger morgen sprechen: Die neuen Superhelden und ihre verblüffende Ähnlichkeit zu barocken Heiligen.

- Nächster Vortrag: Ulrike Sprenger: "Super-Heilige". 23. Januar, 20 Uhr, Hörsaal 1199, KG I, Universität Freiburg.

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